Rames und Karim Najjar sind im Libanon aufgewachsen. „Wir sind beim Meer aufgewachsen,“ sagt Rames stellvertretend für beide. „Wir hatten immer einen weiten, offenen Horizont.“ Den haben die Brüder bis heute, ihre Architektur strebt nach Entgrenzung und greift nach den Sternen. Najjar Najjar wollen eine genuin statische Disziplin in Bewegung bringen, ohne dass sie deshalb ihren bergenden Charakter aufgeben müsste. Das gelingt ihnen auch. Boote - gleichermaßen die Synthese von Raum und Bewegung – faszinieren sie besonders. „Boote haben eine sehr ausgeklügelte Form, die das Wasser verdrängt,“ sagt Rames Najjar. „Der Kiel eines Segelbootes überwindet die Natur, indem er mit ihr mitgeht.“
Die Mutter war eine deutsche Künstlerin, der Vater ein Bauingenieur, die Synthese der elterlichen Herkünfte und Einflüsse war offensichtlich die Architektur. Das erste Projekt von Rames war ein Haus am Meer, das Modell war aus Gips. Beide Brüder studierten an der TU Wien fertig – etwa in der Mitte der 1990er Jahre, als Jan Turnovsky, Helmut Richter und William Alsop einen frischen Wind in die verkrusteten, hierarchischen Strukturen brachte. Das Diplom von Rames Najjar war ein Gebäude im Wattenmeer, das auf Ebbe und Flut reagiert, das von Karim Najjar ein drachenartiges Flugobjekt namens Flarke. Als erstes Projekt im Büro realisierten sie den sogenannten BUG für den steirischen Herbst. Dieser gelenkig gelagerte, turmartige Raum für eine Person konnte von unten erklettert werden und folgte der Bewegung des Menschen.
Die Küstenlinie von Beirut ist heute derartig stark privatisiert, dass die heimischen Fischer zwischen lauter exklusiven Villen und Ressorts kaum Platz finden. Sie werden vom Kapitalismus weggespült. Das Projekt IRIS von Najjar Najjar schafft den Fischern wieder einen Zugang zum Meer. Es ist eine kinematische Struktur aus Holz und Stahl, die auf extrem dünnen, langen Beinen wie eine Heuschrecke auf den Felsen verankert ist und im Wasser aufsetzt. Ihre dreieckigen, flügelartigen Elemente generieren aus der Bewegung des Ozeans Energie. „Wir wollten damit ein Statement setzen und den Fischern, die dort verdrängt werden, etwas zurückgeben.“ Auf dieser Plattform lässt sich das Meer auch bei jedem Wind und Wetter ganz besonders erleben.
Experimente mit Materialien und Formen ziehen sich als einer von vielen roten Fäden durch die Arbeiten von Najjar Najjar. Das Studio arbeitet in Kooperation mit Ivan Tochev an einem patentierten Vakuumsystem, mit dem man freigeformte Betonschalungen herstellen, verformen und wiederverwenden kann. „Alles hängt mit allem zusammen,“ ist Rames überzeugt. Nichts geht verloren. Alle Erfahrungen, die in einen Entwurf, eine Studie, ein Gebäude geflossen sind, tauchen transformiert woanders wieder auf. Die Architektur von Najjar Najjar ist immer im Fluss – dieser verbindet so verschiedene Projekte wie luxuriöse, großzügige Villen, kinetische Objekte und soziale Gebäude wie Nasma: diese prototypische Schule für Flüchtlingslager im Libanon wird aus lokalen Materialien kostengünstig hergestellt und schafft mit einem natürlichen Belüftungssystem auch ein angenehmes Klima.