Erste Architektur-Biennale in Beijing 2004

Beinahe zeitgleich mit der Architektur-Biennale in Venedig präsentierte sich im fernen China erstmals die Architektur-Biennale in Beijing. Selbstbewusst als „größte internationale Architekturschau“ angekündigt, sollten auch hier die für dieses Land bereits obligaten Superlative die führende Rolle der Volksrepublik China als größte und am schnellsten wachsende Bauwirtschaft der Welt unterstreichen. Die zeitliche Überschneidung mit Venedig war von den chinesischen Organisatoren durchaus bewusst gewählt – was kümmert es eine Bausupermacht, was in den Giardinis in „Old Europe“ als Vision gezeigt wird, wenn in China bereits das Whoiswho der internationalen Architekturszene Schlange steht, um dort ihre Megaprojekte realisieren zu können?

Die acht thematischen Schwerpunkte der ABB2004 spannten einen weiten Bogen, angefangen von „Architektur ohne Grenzen“, über Städtebau, Kommunale Kultur, Landschaftsplanung, Interior, Materialien und Technologien bis hin zur experimentellen Architektur und Ausbildung. Die Ausstellungen, die immer von einem internationalen Diskussions- und Vortragsforum begleitet wurden, waren an acht unterschiedlichen Orten über ganz Beijing verstreut. Zumeist in Arealen von aktuellen Immobilienentwicklungen, deren Fertigstellungen sich bis zur Biennale dann doch nicht ausgingen, sodass in vielen Fällen die Veranstaltungen auf laufenden Baustellen stattfanden.

Dieser nicht beabsichtigte Blick hinter die Kulissen ermöglichte die tatsächlichen Rahmenbedingungen für das „Chinesische Bauwunder“ kennen zu lernen. Schon längst haben Mao´s Erben auf Turbokapitalismus gesetzt und dabei ihr soziales Gewissen über Bord geworfen. Und so entwickelt sich ohne Rücksicht auf Verluste eine gigantische Immobilienwirtschaft, deren einziges Ziel es ist größer und schneller zu bauen, um noch mehr Geld in noch geringerer Zeit zu machen. „Make Money“ heißt die Devise in China und dabei ist jedes Mittel recht.

 

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Schriftlich vereinbarte Verträge, insbesondere die Bezahlung betreffend, werden in China vielerorts nicht als verbindlich angesehen. Das musste auch so mancher Teilnehmer an der Architektur-Biennale am eigenen Leib erfahren. Auch die Tatsache, dass die Organisation der Biennale von einer Eventagentur mit zweifelhaftem Ruf aber guten Beziehungen zum Kulturminister betrieben wurde, macht den Unterschied zu Venedig deutlich. Die kommerzielle Gewinnerzielung stand bei der ABB2004 vor der kulturellen Vermittlung. Denn weltweit flattern Hundertschaften von Stararchitekten bis hin zu Architekturabenteurern um chinesische Investoren und Politiker, wie die Motten um das Licht. In der Hoffnung ein Stück des Kuchens ab zu bekommen, nehmen sie einiges auf sich. Wieso, so dachten sich die Organisatoren, sollte man aus dieser Hoffnung nicht ein lukratives Geschäft machen?

Die Hauptausstellung zum Thema „Architektur ohne Grenzen“ war in der National Gallery Beijing als Leistungsschau engagierter chinesischer und internationaler Teams, rund um die in China bereits tätigen Stararchitekten wie Koolhaas, Hadid, HdM, Andreu, usw. konzipiert. Abgesehen von chaotischen organisatorischen Zuständen war der Veranstalter bis kurz vor der Biennale nicht bereit, wie vertraglich zugesichert, die Raummiete zu bezahlen. Man ging davon aus, dass die einzelnen Aussteller bzw. nationalen Teams so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben würden und dann doch die nicht unbeträchtlichen Fees selbst tragen würden. Die meisten Aussteller wurden zudem erpresst mit Professionisten und Transportunternehmen zusammen zu arbeiten, die den Veranstaltern nahe standen – zu weit überhöhten Preisen versteht sich. Diese Zustände führten zu Protesten und schlussendlich zum Eklat. Vier Wochen vor der Eröffnung der Biennale wurde auf einer Pressekonferenz der Rücktritt von 52 der wichtigsten chinesischen Architekturbüros, sowie einiger internationaler Teilnehmer bekannt gegeben. Auch der österreichische Beitrag, die von architektur in progress organisierte Ausstellung „Making Waves – Junge Österreichische Architektur in China“, wurde aus Solidarität zurückgezogen.

Einen derartigen Boykott gab es in China bisher nicht. Der Skandal um die ABB 2004 fand in der medialen Berichterstattung einen breiten Niederschlag. Die Solidarisierung der zurückgetretenen Architekten stellte gleichzeitig auch einen viel versprechenden Anfangspunkt einer intensiven Zusammenarbeit mit europäischen Organisationen und Architekten dar, die möglicherweise in einer selbst organisierten, unabhängigen Architekturschau 2006 in Beijing ihren Niederschlag finden wird.

In letzter Sekunde wurden zahlreiche mittelmäßige Investorenprojekte, über die sich bereits die Kollegin vom Standard gewundert hatte, als Platzhalter in der National Gallery ausgestellt. Nur einige wenige der Zurückgetretenen konnten dem Druck der Investoren und Organisatoren nicht widerstehen. So kam es, dass Zaha Hadid doch noch drei Tage vor der Eröffnung ein Modell schickte. Die geplante Live-Übertragung ihres Vortrages aus Venedig entfiel aber – offiziell hieß es aufgrund technischer Probleme.

Österreich war dennoch in zwei weiteren Modulen auf der ABB2004 sehr erfolgreich vertreten. Etwa in der Ausstellung „Architektur/Nicht-Architektur“. Sie zeigte in einer noch in Bau befindlichen Tiefgarage Projekte über experimentelle Architektur in Zusammenarbeit zwischen chinesischen und internationalen Institutionen. Die im April 2004 von architektur in progress organisierten Gastprofessuren von Rainer Pirker und Peter Michael Schultes an der Southeastuniversity Nanjing waren so erfolgreich, dass beide Teams eingeladen wurden die Ergebnisse dieser Workshops im Rahmen der Architektur-Biennale auszustellen. Peter Michael Schultes stellte darüber hinaus das von ihm in Nanjing und Wien initiierte Netzwerk für experimentelle Architektur vor. Der aus pneumatischen, teilweise hinterleuchteten PVC-Wänden eindrucksvoll inszenierte Ausstellungsraum, in dessen Zentrum eine aufblasbare Videoprojektionskugel über die Zusammenarbeit informierte, wurde durch das Projektionsobjekt „Timepill“, sowie eine Installation vom österreichischen Objektkünstler Norbert Brunner eindrucksvoll ergänzt.

Der Beitrag der Österreicher gemeinsam mit der SEU –Nanjing wurde von einer Fachjury zum besten Beitrag dieses Moduls ausgezeichnet. Bezeichnend für die „Organisation“ dieses Biennale-Schwerpunktes ist die Tatsache, dass die Teilnehmer erst nach ihrer Rückkehr in Wien über Umwege von dieser hohen Auszeichnung erfuhren.

Der zweite Österreichische Beitrag wurde von Delugan_Meissl gestaltet und war von großem medialem Interesse begleitet. Im Modul „Interior Infinite“ wurden vierzig international anerkannte Designer und Architekten eingeladen, zukunftsweisende Rauminstallationen zu entwerfen. Die zehn besten Entwürfe wurden dann in einem ebenfalls in Bau befindlichen, 30 Stockwerke hohem Apartmentgebäude in der Phoenix City, einem Entwicklungsgebiet im Nordosten Beijings, realisiert. Jedes Team hatte ein ca. 250m² großes Apartment zur Verfügung, wobei auf die bestehenden konstruktiven und räumlichen Vorgaben Rücksicht genommen werden musste.

Während Bernard Tschumi, Michele Saee, Marco Ferreri, Denis Santachiara, Odile Decq, Matali Crasset und Marcelo Joulia sehr konventionelle Apartments mit mehr oder weniger geschmackvollem Ambiente designten und damit eher dem Verwertungswunsch des Investors entsprachen, hoben sich die Units von Delugan_Meissl, Wang Hui und Didier Faustino vom „Leiner-Flair“ wohltuend ab und stellten einen interessanten Biennalebeitrag dar. In der komplett in weißem Kunstharz gehaltenen Unit von Delugan_Meissl wurde ein Kontinuum von abwechslungsreichen, sehr introvertierten Räumen mit Wasserbecken und spannenden Lichtsituationen entwickelt. Der Blick nach Außen wurde bewusst ausgeblendet. Durch unterschiedliche Beleuchtungselemente konnten so oft verblüffende Raumstimmungen erzeugt werden.

Auch vom Chinesen Wang Hui wird man in Zukunft sicherlich auch bei uns noch einiges hören bzw. lesen. In dem von ihm entworfenen Apartment wurden die Wandflächen durch vertikale Holzlamellen aufgelöst. Dadurch ergaben sich interessante Durchblicke und in einander fließenden Räume.

Der experimentellste Beitrag kam vom in Paris lebenden Portugiesen Didier Faustino, der in seiner Unit einen quaderförmigen Zentralraum situierte, mit abgehängter Decke und aufgestelztem Boden aus Neon hinterleuchteten Gitterrosten und mit Wandelementen aus abgedunkelten Spiegeln. Die Strenge des käfigartigen Raumes wurde nur durch variable Ansammlungen an kleinen, roten Seidenkissen aufgelockert. An der Gitterdecke konnten Gurtartige Laschen mit Metallhaken flexibel eingehängt werden, um dem Nutzer unterschiedlichste Sitz- und Hängepositionen zu ermöglichten. Rund um diese Gitterbox wurde der Raum in kojenartige Nischen geteilt und Wände, Decken und Boden grau gestrichen und mit spartanischen Doppelliegen und Hockern aus unbehandeltem Holz möbliert. Auf die Frage von Odile Decq für welche Nutzung diese Unit entworfen worden sei, meinte Faustino sie sei das Produkt seiner erotischen Phantasien. Genaueres wollte Frau Decq dann nicht mehr erfahren.

Währenddessen sich das festlich gekleidete Eröffnungspublikum mit blauen Plastiksäckchen über die Schuhe gestülpt in den unteren Geschossen des Wohnhochhauses von Unit zu Unit drängte, um am Ende kopfschüttelnd aus Faustions Apartment die Ausstellung Richtung roten Teppich zu verlassen, wurde ein paar Geschosse höher geschweißt und gehämmert. Und nebenan betonierte eine Hundertschaft an Bauarbeitern ein gigantisches Fundament für die nächsten Hochhaustürme. „Time is Money!“