Veranstaltungsrückschau

Mensch und Materie in der Stadt
21.10.2021| Isabella Marboe

„Dark Matter Labs“ klingt nach Science Fiction. Der britische Architekt Indy Johar hat das „Labor für dunkle Materie“ gegründet, um Strategien für die Zukunft einer Welt im Klimawandel zu entwickeln. Er war im Rahmen der Vienna Design Week von architektur in progress als Festredner zum Vortrag nach Wien geholt worden. Johar und sein Think Tank aus London begreifen Städte weniger als gebaute, denn als belebte Materie. Als Resultat der unsichtbaren Kräfte im Hintergrund: Politik, Finanzen, Institutionen, demokratische Teilhabe, Erziehung, Identität und – sehr wichtig – Emotionen. Dort setzt auch Mark Neuner von Mostlikely  an: Zu Gast im Studio Mobil  von urbanthinktank_next erprobte er auf der Vienna Biennale erstmals das Public Prototyping. Eine Methode zur Konzeption neuer, öffentlicher Räume, bei der alle die wollten, ihre Wünsche proaktiv einbringen konnten.

„Wie fühlen Sie sich in diesem Raum?“ Mit dieser Frage beginnt Indy Johar seinen Vortrag, der im Festsaal des Bezirksamts Brigittenau stattfindet. Ein schöner, festlicher Raum aus dem Späthistorismus, doch es war heiß, die Luft verbraucht, die Sessel unbequem. Selbst in der großartigen Architektur des britischen Cambridge College, wo Johar kürzlich bei einem Workshop war, hätte er sich mit der Zeit erschöpft gefühlt. „Auch, wenn die Architektur gut ist, fühlen wir uns in Innenräumen oft wesentlich schlechter, als wenn wir draußen bei frischer Luft und Sonne im Park säßen“, sagt er. „Ich arbeite am liebsten im Freien in meinem Garten.“ Trotzdem ist es nicht der öffentliche Raum, sondern es sind Immobilien, in die investiert wird. Je besser die Lage, umso mehr. „Wir berechnen und planen sie nach dem Wert, den sie erzielen können. Aber nicht nach den Qualitäten, die sie zerstören, der Luftverschmutzung, die sie verursachen.“

Die Lebensqualität einer Stadt profitiert am meisten von öffentlichen Räumen. Ihr Mehrwert ist immateriell und wird nicht bepreist. „Es kostete die Stadt New York etwa 153 Mio. $, um die High Line in Manhattan in einen Park umzuwandeln, das sind gerade mal 10% der dadurch erzielten Wertsteigerungen für das Bauland entlang des High Line Parks.“ Was dieser neue, attraktive öffentliche Raum, der sogar zur Touristenattraktion wurde, der Bevölkerung und der Stadt brachte, ist ein Vielfaches, wird aber nicht berechnet. Eine Neubewertung derartiger, öffentlicher Investitionen und eine entsprechende Wertabschöpfung für die öffentliche Hand ist überfällig.

„Wir sehen die Stadt immer nur als Plan, den jemand gezeichnet hat.“ Indy Johar denkt in anderen Kategorien: dem Fluss von Waren, Energie, Wasser, dem Mehrwert von Bildungs- und Kultureinrichtungen, öffentlicher Infrastruktur, .... „Die Herausforderung liegt darin, einen menschlichen Stadtplan zu entwickeln. Wir denken immer noch in materiellen, physischen, kulturellen, logistischen Grenzen. “

Dark matter ist alles, was über das Materielle hinausgeht. Bestehende Häuser CO2 – neutral zu machen, würde etwa 25 Billionen Euro kosten. Mindestens ebenso wichtig wäre es, in die geistige Gesundheit von Menschen zu investieren. „Das Befinden der BewohnerInnen ist auch eine urbane Infrastruktur“, sagt Johar. Daher sind billig gebaute Häuser in Wirklichkeit sehr teuer. Denn sie machen ihre Bewohner*innen krank, was deren Arbeitsfähigkeit einschränkt und das Gesundheitssystem belastet.

Genau da setzt Mark Neuner von Mostlikely  an. „Wir brauchen neue öffentliche Räume, die eine Art Kreislaufwerkstatt sind .“ Er denkt an Orte, wo in offenen Workshops Wissen geteilt und weitergegeben wird. Orte, die Infrastruktur wie einen Herd zum Kochen oder eine Werkbank  zum Tischlern zur Verfügung stellen. An eine urbane, emissionsarme Produktion und eine Form von Arbeit, die nicht ausbeutet, sondern Sinn stiftet. „Das erfordert eine neue räumliche und städtische Infrastruktur, ist aber auch ein Weg, dem Klimawandel zu begegnen.“ Auch Neuner begreift Städte als Kreisläufe. Kreisläufe von Gütern, Waren, Wissen, Erfahrungen, die sich teilen und weitergeben lassen. Aus diesem Verständnis heraus entwickelten Mostlikely das Common Space Stadtmodell. Mostlikely arbeiteten schon oft mit mobilen Stadtlaboren und Workshops im öffentlichen Raum, auch vor der Festivalzentrale der Vienna Design Week parkte das Studio Mobil von urbanthinktank_next (Hubert Klumpner und Michael Walczak/ETH Zürich) im Rasen. Dort schlugen Mostlikely mit ihrer Common Space Kreislaufwerkstatt ihre Zelte auf und wandten erstmals das Konzept des Public Prototyping an . In einem dreitätigen Workshop konnten alle, die wollten ihre Wünsche und Visionen für eine Kreislaufstadt in und am Modell konkretisieren und artikulieren. Und es wurden ganz gezielt Expert*innen, Akteure, Entscheider*innen und Interessierte zusammengebracht, um sich auszutauschen. Derzeit ist Mostlikely dabei, die Ausbeute an Ideen zu bearbeiten. Danach sollen diese Ideen weitere Kreise ziehen. 

Im Vortrag “Let´s built a circular city!” bei architektur in progress meinte Johar: “Vienna really is a nice city. But I think, it could be nicer!” Auf die Frage, welches Projekt er sich für Wien 2030 wünschen würde, meinte er mit einem Augenzwinkern “ A love story would make Vienna 2030 nicer“. Denn eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung sollte laut Indy Johar nach dem Kriterium des emotionalen Wohlbefindens der Bewohner*innen bewertet werden.

 

Zurück