"Grüne Panther und lernende Pläne"

Wie immer war es eine große Freude in Graz im Wilden Mann bei LOVE architecture and urbanism zu Gast sein zu dürfen. Nach dem großen Erfolg in Wien wurde der Vortrag von Ben Pohl von Denkstatt sárl aus Basel schon mit großer Spannung erwartet. An die 100 Besucher*innen sind gekommen um mehr über „lernende Pläne“ und das innovative Weiterbauen im Bestand zu erfahren. Beate Engelhorn, die Direktorin von unserem Kooperationspartner HDA war gekommen und ebenso der Präsident der Architektenkammer für Steiermark und Kärnten, Arch. Gustav Spener. Und auch der neunzigjährige Doyen der Grazer Szene Eugen Gross mit Frau Heide hat es sich nicht nehmen lassen, mehr über die Strategien einer Wiederbelebung bzw. sensiblen Weiterentwicklung von großen, Bestandsarealen zu lernen. Ebenso wie Mark Jenewein, der begrüßende Worte sprach.

 

Das innovative Weiterbauen im Bestand ist DAS Thema in der aktuellen Architekturdiskussion. Und Denkstatt hat hier eine Reihe an Leuchtturmprojekten realisiert – am „Katzentisch“ der Projektentwickler, wie Ben es nennt. Ob im Gundeldinger Feld oder in der Markthalle in Basel, ob in Winterthur oder eben im Pratteln, wo Denkstatt den Plan zur Entwicklung der ehemaligen COOP-Zentrale einfach „gehackt“ hat. „Lernende Pläne“ bedeutet, dass man durch die Zwischennutzung wesentliche Akteure gewinnt, die darüber Auskunft geben welcher Bedarf und welche Ausstattungen für welche Räume bestehen. Also wenn ein Elektriker sich als Zwischennutzer einmietet und dann unverhofft zwei Kellergeschossen, feucht und dunkel komplett und ohne gravierenden Sanierungsbedarf abmietet, weil er zu einem erfolgreichen Produzenten für medizinischen Hanf geworden ist. Nur geringfügige Investition bedeutet für den Vermiete bzw. Developer einen wirtschaftlichen Erfolg bei gleichzeitiger Erhaltung und Nutzung vermeintlich nutzlosen Bestands.

 

In den Jahren der Umwidmung (in der Schweiz dauert das zumindest 5 Jahre) kommt die partizipative Zwischennutzung nicht viel teurer als die Security- und Erhaltungskosten des Leerstandes. Dabei werden aber neue Nutzer*innenprofile entwickelt und neue Potenziale identifiziert. Dem Tischler reichen für seine Werkstatt 18°C warme Räume, aber dafür braucht er mehr Platz. Die Einsparungen einer nur begrenzten, thermischen Ertüchtigung ermöglichen für den Handwerker aber leistbare Flächen und das wiederum bringt eine angemessene Rendite für den Eigentümer und für den Planeten weniger CO²-Ausstoß. Überhaupt rechnet Ben Pohl vor, dass die Ertüchtigung des Bestandes die beste und umweltfreundlichste Alternative in der Weiterentwicklung unsere urbanen Räume darstellt.

 

Wenn die Weiternutzung nicht möglich ist kommt die Suche nach einer Weiternutzung mit geringen Adaptionen als nächstes., dann der Weiterbau und erst dann das kreislaufgerechte Abtragen bzw. Widernutzen abgerissener Bauteile. Anhand des preisgekrönten Projektes Lagerplatz Winterthur, das von Denkstatt und baubüro in situ entwickelt wurde, rechnet Ben Pohl vor, dass für die kreislaufgerechte, viergeschossige Aufstockung eines historischen Industriebaus insgesamt zwölf Gebäude abgerissen werden mussten, um die geeigneten Bauteile im Sinne des Materialkreislaufs wieder einbauen zu können. Die Energie, die bei 12 Abrissen verloren geht, kann nur schwer wieder eingespart werden.

 

In Pratteln ging man einen anderen Weg und fand so spannende Nutzungsszenarien, und Projektentwickler, dass am Ende mehr Bestand wieder „zurückgeholt wurde“ obwohl bereits eine Neubauwidmung genehmigt war. Dort macht die Erhaltung der Konstruktionsstruktur ebenso Sinn, wie der Abbau von Bestandsmaterialien, die Vorort und ohne lange Transportwege gelagert und dann wieder im sanierten Bestand eingebaut werden können. Nach dem Vortrag entwickelte sich eine spannende Diskussion, selbst Immobilienprofi Markus P. Kovac, Geschäftsführe von bauwerk-projekt wollte genauer wissen, wie derartige Bestandsentwicklungen auch wirtschaftlich wie ökologisch langfristig Sinn machen.

 

Und so wurde nach dem Vortrag von Denkstatt noch lange bei steirischer Kürbissuppe bzw. marokkanischer Linsensuppe und frischem Schwarzbrot diskutiert, was das für die Zukunft einer klimafreundlichen Projekt- und Stadtentwicklung bedeutet. Die Gastgeber LOVE waren in absoluter Feierlaune, wurden sie doch als Auftraggeber just an diesem Abend gleich zweimal mit dem Landespreis „Green Panther“ ausgezeichnet: Für die beste Fotokampagne und für die beste Website - siehe https://love-architecture.com/ . Und so wurde bis in die frühen Morgenstunden feucht-fröhlich im „Wilden Mann“ gefeiert und über lernende Pläne diskutiert. Danke an LOVE und insbesondere Sara Schmidt für die hervorragende und professionelle Organisation!

Denkstatt sàrl

"Wie Pläne lernen können"  

 Klimagerechter Umbau von Bestand in florierende Stadtteile. Best Practice aus der Schweiz 

Die Klimakrise als Chance für eine neue, interdisziplinär agierende Baukultur!

Der Klimawandel und die Dringlichkeit der Dekarbonisierung stellen Architektur und Stadtentwicklung vor neue Herausforderungen. Der europaweite Transformationsprozess in eine Um-Baubranche bringt aber auch Chancen für neue Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse, die von einem interdisziplinären Team gemanaged werden. Und das ermöglicht auch neue Arten der Immobilien- und Projektentwicklung zu etablieren. Statt kurzfristiges Profitstreben durch die Vergesellschaftung der Belastungen von Umwelt und Stadtbild, wird auf langfristige, qualitätsorientierte Konzepte gesetzt.


Leuchtturmprojekte durch agile Entwicklungsprozesse: Einer der wesentlichen Pioniere in diesem Bereich sind Denkstatt sàrl. Das interdisziplinäre Kollektiv hat durch eine Reihe beispielgebender Projekte in Basel, Zürich, Winterthur oder Berlin gezeigt, welches enorme Potential im Weiterbauen im Bestand, in der Wiederbelebung und Neuprogrammierung von Leerstandsbrachen und in der Aneignung von Raum besteht. Ben Pohl zeigt, wie durch lernende Planungsprozesseund den sorgsamen und kreativen Umgang mit dem Bestand längerfristig auch wirtschaftlich attraktive Ergebnisse zu erzielen sind.

 

Der Transformationsprozess zu einer neuen klimagerechteren und kreislauforientierten Baubranche, oder besser einer Um-Baubranche bringt auch enorme Chancen für das Berufsbild und den Tätigkeitbereich der Architekturschaffenden. Generalistisches, interdisziplinäres Schaffen, die Entwicklung von Strategien, die Programmierung und Betreuung von Prozessen – all das wird verstärkt gefragt sein.

Im Zentrum des Vortrags in Graz steht z.B. die „Zentrale Pratteln" in Basel, ein ca. 4.5ha großes Industrieareal und der zunächst ungeplanten Weg zum Erhalt des Lagergebäudes 22, welches zu einem Haus für genossenschaftliches Wohnen transformiert wird und dabei mehr als 1000t in Beton gebundenes CO2 einspart, sowie einen architektonisch spannenden Umgang mit der bestehenden Gebäudestruktur verspricht.

Laut Ben Pohl liegt der Schlüssel zu einer klimagerechten (Um)Baubranche im Kulturwandel! Motive, Prozesse und Anreize müssen sich gravierend verändern.

Wir freuen uns wieder bei LOVE im "Wilden Mann" zu Gast sein zu dürfen sowie auf Euer zahlreiches Kommen! Im Anschluss an den Vortrag laden wir zum informellen Austausch bei Buffet udn Getränken.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem HDA, Haus der Architektur in Graz

www.denkstatt-sarl.ch

 

Denkstatt sаrl | Basel - Zürich

Als Entwicklungsbüro für alle Phasen und Arbeiten vor und neben den klassisch architektonischen Leistungsphasen, wurde die denkstatt 1996 gegründet. Heute versteht sich die denkstatt sаrl als eine Projektentwicklerin auf verschiedenen (Massstabs-)Ebenen gegenwärtiger städtebaulicher Transformationsprozesse im urbanen und ruralen Kontext in der Schweiz und im Ausland.

Denkstatt organisiert städtebauliche Transformation. Noch vor den Überlegungen zur zirkulÄren Wiederverwendung von Bauteilen, setzt die denkstatt auf die dauerhafte Verlängerung von Lebens- und Gebrauchszyklen von ganzen Gebäudestrukturen und Quartierten. Sie sieht ihre Kernkompetenz u.a. in der Erweiterung von Nutzungsoptionen städtischer Räume. Auf Basis lokaler Potenziale, Akteure und Qualitдten wird die Transformationen von Gebäudestrukturen, Freiräumen und Quartierten mit den minimal nötigen finanziellen und baulichen Eingriffen nachhaltig und ökonomisch tragfähig geplant und realisiert.  In einem interdisziplinären Team aus ca. 20 Mitarbeiter:innen (Architektur, Landschaftsarchitektur, Stadtplanung, Design, Soziologie, Geografie, Ökonomie u.a.) arbeitet die denkstatt pragmatisch, dialogisch, partizipativ und analytisch am und mit dem Ort in 1:1 Modellen aus Gebäuden, Kontext und involvierten Akteueren und bringt gemeinwohlorientierte Trägerstrukturen für nachhaltige Areal-, Quartier- und Freiraumentwicklungen ins Funktionieren. Denkstatt ist Schwester einer gemeinsamen Büroverbund zusammen mit dem Baubüro Insitu AG, der Zirkular GmbH und der Unterdessen GmbH in Basel und Zürich.

 

Ben Pohl M.Sc. Urban Design Research/ Dipl. Des. Kommunikation

Ben Pohl hat einen handwerklichen, einen sozialwissenschaftlichen und einen gestalterischen Ausbildungshintergrund. Neben Studium und freier Berufspraxis in Berlin und Hamburg, war Ben Pohl im Zeitraum von 2010 bis 2015 als Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- und Forschungsbereich Urban Design der HafenCity Universität und der «Universität der Nachbarschaften» (UdN) in Hamburg tätig. In seiner Berufspraxis verbindet er soziologisch-analytische Zugangsweisen zu Stadt, mit Werkzeugen und Techniken aus Architektur, Design, Fotografie und Film. Seit September 2016 arbeitet er im Team der denkstatt sàrl in Basel in den Kernbereichen «Sozialräumliche Entwicklungskonzepte», «Dialogformate» und «Urbane Kommunikation». Von 2018 bis 2020 war er als «Studio Lead» am DARCH «Newrope» Chair der ETH Zürich für die Entwicklung innovativer städtebaulichen Lehrkonzepte und den Aufbau des «Design in Dialogue Lab» mitverantwortlich. Seit 2018 engagiert er sich bei B/IAS – Basel Institut für angewandte Stadtforschung, für die Förderung zivilgesellschaftlicher und gemeinwohlorientierter Stadt- und Regionalentwicklungskompetenz mit dem Fokus auf soziale, ökologische und ökonomische Klimagerechtigkeit.

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