Wohnmodelle abseits des Mainstreams

Leistbares Wohnen wurde auf kommunaler Ebene (z.B. Graz, Salzburg) ebenso wie auf Bundesebene zu einem Wahlkampfthema. Immerhin 1 Prozent der österreichischen Steuerleistung geht in die Wohnbauförderung, aber durch die „Verländerung“ von Wohnbauforschungs- und Wohnbauförderungsmitteln in den 1990er Jahren und die Aufhebung deren Zweckbindung laufen diese oft am Wohnbau vorbei. Auch die zunehmende Privatisierung und der renditegetriebene, freifinanzierte Wohnbau verfolgen ganz andere Ziele als innovative Wohnformen für eine sich ändernde Gesellschaft anzubieten.  Seit kurzem gibt es ein Bundesministerium für Wohnen, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS) dem Vizekanzler Andreas Babler vorsteht – freilich ohne Zugriff auf die Wohnbaufördermittel. Und ob die Mietbremse gerade im historischen Bestand und die Streichung ökologischer Förderungen nicht jeglichen Sanierungsintentionen und damit der Senkung von Wohnkosten entgegenläuft, bleibt abzuwarten.

Umso erfreulicher die raren Initiativen bzw. konkreten Umsetzungen, die sich der Entwicklung innovativer Wohnprojekte mit hohem Gestaltungsanspruch erfolgreich gewidmet haben. Veronika Hofrichter-Ritter und Gernot Ritter von Hofrichter-Ritter Architekten stellt das Wohnkonzept „Kiubo“ vor, dessen Pilotprojekt sie in Graz für die gleichnamige Tochtergesellschaft der  Wohnbaugenossenschaft ÖWG entwickelt haben. Die sogenannten Hubs sind tragende Primärstrukturen aus Stahlbeton mit Infrastrukturanbindungen. In diese „Wohnregale“ können je nach Bedarf unterschiedliche, vorfabrizierte Holzmodule eingesetzt, erweitert oder wieder herausgenommen werden. Auch die Mischnutzung von Wohnen und Arbeiten sowie die Gestaltung begrünter Freiräume ist möglich. Und im Fall unterschiedlicher Hubs wäre auch eine hohe Flexibilität möglich, da die einzelnen Module einfach per Lkw weiter transportiert bzw. übersiedelt werden könnten. Auch die Integration derartiger Module zur Umnutzung von gewerblichen Leerstehungen als flexible Wohnhubs wäre möglich.

Ebenso haben Hofrichter-Ritter Architekten ein flexibles Kindergartenmodell in Modulbauweise entwickelt, das Gemeinden flexibel dem Bedarf der volatilen Bevölkerungsentwicklung anpassen und anmieten könnten. Leider bekommen derzeit Gemeinden wohl Förderungen zum Bau von Kindergärten, nicht aber zu Anmietung flexibler Module auf Zeit. Und auch die Baubehörde hat ihr Problem mit dem Kiubo-Wohnregal, denn wie soll eine Fassade genehmigt werden, wenn sich die Anordnung der Module immer wieder ändert und ebenso die Nutzung mit dem Bedarf?

Lebensräume für neue Wohnformen außerhalb des klassischen Familiensystems zeigte Mario Paintner von feld72. Das Projekt Stadtbalkon ist ein Quartiershaus im Sonnwendviertel in Wien mit Wohnclustern für selbstorganisierte Wohngruppen mit flexiblen Infrastrukturen für gemeinschaftliche Nutzung. Gewisse Geschosse weisen Raumhöhen von 4,2m auf, die durch den Einbau von Plattformen auch in zweigeschossige Nutzungen umgebaut werden können. Die hohe Flexibilität des Wohnmodells konnte sogar den immokrisenbedingten Wechsel des Bauherrn mit geänderten Nutzungskriterien standhalten. Aber auch hier zeigte sich, dass rigide Normen (z.B. für den Brandschutz) mit der flexiblen Mischnutzungen nicht mithalten können. feld72 entwickelten auch „Balkonfenster“, die durch eine kleine, zusätzliche Außenraumerweiterung die Anpassung an unterschiedliche Nutzungsszenarien erleichtern. Die Stadtsockelzone im UG mit Stadtwerkstatt richten sich an Unternehmer:innen, die nach gemeinsamer Nutzung von Infrastrukturen in einem kommunikativen und innovativen Arbeitsumfeld suchen und ermöglicht die Verbindung mit dem benachbarten Wohngruppenprojekt von transparadiso.

Michael Obrist, ebenfalls Gründungsmitglied von feld72 und Professor für Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien zeigte adaptive Wohnprojekte, die teils durch Aneignungen von Leerstehungen entstanden. Er spannte auch den Bogen nach Italien, wo sich viele junge Menschen überhaupt keine eigene Wohnung mehr leisten können. Durch die Besetzung von leerstehenden Verwaltungsgebäuden entstanden experimentelle Zwischennutzungen die gemeinschaftliche Bespielungen ebenso wie die Integration von Zuwanderern und damit einen kulturellen Austausch ermöglichen. Man darf auf Österreichs Beitrag „Agency for better living“ auf der diesjährige 19. Architekturbiennale in Venedig gespannt sein, der sich länderübergreifend mit den dringlichen Fragen nach besserem Wohnen und Leben befasst.

www.feld72.at

www.hofrichter-ritter.at

www.labiennale.at

www.kiubo.eu

https://amstadtbalkon.wien/

https://wohnbau.tuwien.ac.at/de

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