Das Wunder von Hohenems

Wie kommt es, dass sich Hohenems vom Aschenbrödel des Rheintals mit enormen Leerstand zu einem Hotspot für Baukultur und Lebensqualität entwickelt hat bzw. gerade mit großen Sprüngen den Transformationsprozess der „Neuen Mitte“ bravourös meistert?

 

architektur in progress lud zur Exkursion durch Hohenems. Trotz strömenden Regen eine Sternstunde der nachhaltigen Ortsentwicklung. Seit 16 Jahren betreut Markus Schadenbauer als Projektentwickler den Aufwertungsprozess mit Geduld, Beharrlichkeit, Weitblick und ungebrochenem Optimismus. Und das Resultat gibt ihm recht. Wer glaubt, dass er das aus der abgesicherten Position eines Standort- und Quartiersmanagers oder Baudirektors von Hohenems macht, hat weit gefehlt. Dem „Wunder von Hohenems“ liegt der Glaube an nachhaltige Verbesserung sowie die Bereitschaft eigenes Kapital in einen scheinbar hoffnungslosen Fall zu investieren zu Grunde.

 

Die Exkursionsteilnehmer*innen erfuhren anhand eines Stadtmodells viel über die bewegte Geschichte von Hohenems. Und schon diese zeigt, dass immer wieder innovatives Umdenken zu neuen Modellen und damit zur Belebung der Stadt geführt hat. Das jüdische Viertel, die Handwerkszeile entlang der Marktstraße, der Palast am Schlossplatz - aber über die Jahre ist das Zentrum nördlich des Schlossplatzes mehr und mehr heruntergekommen. Ein Großteil der Sockelzone in den historischen Häusern in der Marktstraße stand leer und die verlassenen Häuser begannen zu verfallen. Fast schien es so, als würde Hohenems nur mehr als Autobahnabfahrt zwischen den Zentren Dornbirn und Feldkirch wahrgenommen werden. Vor 16 Jahren, als Markus Schadenbauer mit seiner Frau nach Hohenems kam, war die zentrale Marktstraße so gut wie ausgestorben. Deshalb ließ die Stadtpolitik den Projektentwickler gewähren, denn schlimmer konnte es kaum mehr werden. Haus für Haus wurde erworben und liebevoll restauriert bzw. in der zweiten Reihe durch zeitgemäße Ergänzungen aufgewertet. Die dazwischen liegende grüne Zone der Höfe wurde belebt und für eine regelmäßige, fußläufige Verbindungen mit der dahinter liegenden Schlossbergstraße wurden Durchgänge vorgesehen.

 

In den sanierten Sockelzonen wurden mit viel Feingefühl eigentümergeführte Betriebe angesiedelt. Keine Filialisten von allgegenwärtigen Großketten, sondern kleine, feine Geschäfte, die man in der Form sonst nirgends finden kann. Der erste Bioladen in Hohenems mit regionalen Produkten, ein Buchgeschäft, das von drei Lesebegeisterten geführt wurde, ein Blumenladen, in dem man auch einen Espresso trinken kann, ein Atelier einer Goldschmiedin, eine Modedesignerin bei der Werkstatt im Shop, ein Second Hand Laden mit besonderen Stücken. Haus für Haus wurde erworben, der historische Bestand wieder herausgeschält, von den Lastern späterer Lieblosigkeiten befreit und nachhaltig und mit viel Liebe zum Detail restauriert. Und dort wo Erneuerungen notwendig bzw. stimmige Raumpotenziale vorhanden waren, wurde durch zeitgemäße, standortgerecht Architektur ergänzt. Nach dem Motto „Denkmalschutz = Klimaschutz“ wurden die Gebäude denkmalgerecht erhalten und gleichzeitig klimafit gemacht. Dafür wurde Markus Schadenbauer vom Bundesdenkmalamt mit der Denkmalschutzmedaille ausgezeichnet. Nach und nach haben Schadenbauers Bemühungen auch die benachbarten Hauseigentümer motiviert, in die sensible Sanierung ihrer historischen Substanz zu investieren. Mittlerweile hat auch die Stadt das enorme Potential erkannt und unterstützt die Aufwertungsbestrebungen durch eine ansprechende Gestaltung des öffentlichen Raums. Es entstand eine einzigartige Flaniermeile mit charmanten Geschäften, schön restaurierten Fassaden, grünen Höfen und gemütlichen Einkehrmöglichkeiten.

 

Der Projektentwickler koordiniert das Zusammenspiel von Idee, Standort und Kapital in der Art, dass „wirtschaftlich sinnvolle, ökologisch nachhaltige und sozial vielseitige Strukturen entstehen“. Markus Schadenbauer: "Ein lebendig und nachhaltig angelegtes Quartier hat die Fähigkeit Menschen zusammenzubringen, die Kommunikation zu fördern, Bewusstsein für Regionalität zu stärken und Lebensqualität im Allgemeinen zu erhöhen. Vermehrt angebotene verschönerte öffentliche Orte werden verstärkt genutzt und fördern so die Sicherheit und die Gesundheit aller." Das funktioniert aber nur deshalb, weil Markus Schadenbauer seit 16 Jahren in Hohenems wohnt und jeden Tag den Entwicklungsprozess miterlebt, den Kontakt zu den Anwohner*innen und Geschäftsleuten pflegt und Schritt für Schritt und in kleinen Teilen und mit Bedacht entwickelt. Das Viertel um die Marktstraße strahlt mittlerweile bis in der Harrachgasse aus.

 

Die Wertschätzung der geschichtlichen Präsenz zeigt sich auch in der aktuellen Sanierung der ehemaligen Industriellenvilla Rosental, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand und nun von Schadenbauer mit seinem Architekten zum Vorarlberger Literaturhaus wach geküsst wird. Gleich nebenan entsteht die „Neue Mitte“, und bildet am nördlichen Ende der Marktstraße das zeitgenössische Gegengewicht zum historischen Schlossplatz. Hier entsteht gerade das neue Rathaus nach einem Wettbewerbsgewinn von Helena Weber und Philipp Berktold. Das zeitgenössische Ensemble wird u.a. durch Gebäude von Cukrowicz Nachbaur Architekten und Bernardo Bader ergänzt. Aus dem ehemals hässlichen Entlein ist ein schöner Schwan geworden, der gerade seine Flügel weit aufspannt. Wer da nicht an Wunder glaubt?

 

Und wer nun neugierig geworden ist, den können wir unseren übernächsten Vortrag bei architektur in progress am 12. September im Laufen Space in Wien empfehlen. Da kommt Helena Weber von Berktold Weber Architekten aus Vorarlberg zu uns und wird in ihrem Werkvortrag auch über den gewonnenen Wettbewerb zum Rathaus Hohenems und zur „Neuen Mitte“ sprechen.

 

 Volker Dienst 20230517

Neue Mitte Hohenems

"Ein lebendig und nachhaltig angelegtes Quartier hat die Fähigkeit Menschen zusammenzubringen, die Kommunikation zu fördern, Bewusstsein für Regionalität zu stärken und Lebensqualität im Allgemeinen zu erhöhen. Vermehrt angebotene verschönerte öffentliche Orte werden verstärkt genutzt und fördern so die Sicherheit und die Gesundheit aller." 

– Schadenbauer Projektentwicklung

 

Führung / Neue Mitte Hohenems / Fr 28. April / 13:00 / Harrachgasse 7, 6845 Hohenems

Wir sind gespannt auf einen vom Projektentwickler Markus Schadenbauer geführten Spaziergang durch Hohenems. Mit dabei sind beteiligte Architekt*innen und weitere Gäste. Beschränkte Teilnehmer*innenanzahl!

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